Liebe Gemeindemitglieder,
in der hl. Messe geschieht ein langsamer Aufstieg. Bis jetzt wurde gestanden, nun setzen sich alle, um zu hören. Es folgt der Wortgottesdienst.
Das Hören setzt das „Aufhören“ voraus, sagte der Theologe Romano Guardini.
Man muss zur Ruhe kommen, um Hören zu können.
Das setzt in der Tat einiges voraus, nicht nur die innere Ruhe, sondern auch die Atmosphäre in der Kirche. Erst einmal sollte wirklich Ruhe sein, wenn z.B. ein Gemeindemitglied an das Ambo tritt und die Lesung vorträgt.
Die Lesung will zum Gespräch werden.
Ich möchte ein Beispiel präsentieren. Schauspieler haben in dieser Corona-Zeit das Hohe Lied der Liebe aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth gesprochen. Natürlich ist das eine künstlerische Darbietung. Aber sie macht deutlich, wie das Wort der Lesung zu uns sprechen will und wir hineingezogen werden in das Wort.
Eindrucksvoll werden Halbsätze oder nur einzelne Worte gesprochen. Dazwischen ist Ruhe bis es sich steigert zu einer Art Finale. Am Ende bin ich beeindruckt, nicht nur von der Darbietung, sondern wie die Worte bei mir angekommen sind und Eindruck (im wahrsten Sinne des Wortes) hinterlassen haben.
Beim 2. Vatikanischen Konzil hat man eine Liturgiereform durchgeführt.
Die Leseordnung sieht drei Lesungen vor: 1. Lesung aus dem Alten Testament, 2. Lesung aus dem Neuen Testament (außer den Evangelien), 3. Lesung das Evangelium.
Zwei biblische Lesungen wurden schon zurzeit Jesu im jüdischen Synagogengottesdienst vorgetragen. Es gab selbstverständlich noch nicht das Neue Testament. Zurzeit Jesu wurde aus dem Gesetz (die Tora oder fünf Bücher Mose, wie wir auf Deutsch sagen) und aus den Prophetenbüchern vorgelesen.
Das frühe Christentum übernahm einiges aus dem Synagogengottesdienst und fügte als weitere Lesung das Evangelium hinzu. Zuerst war es wohl eine mündliche Wiedergabe bis die Evangelien schriftlich niedergelegt waren.
Der christliche Gottesdienst hat eine wechselhafte Entwicklung erfahren.
Für uns heute ist maßgebend, was das 2. Vatikanische Konzil (1962-1965) unter Papst Johannes XXIII. und Papst Paul VI. beschlossen hat.
Die Dreizahl von Lesungen entsprach beim Konzil einem Wunsch aus dem deutschsprachigen Raum. In der Weltkirche sind drei Lesungen selbstverständlich geworden. Im deutschen Sprachraum hat man das nicht durchgehalten, weil es die verbreitete Meinung gibt, dass Gemeinden für drei Lesungen nicht aufnahmefähig sind. Ist das wirklich so?
Auch ich habe das bei uns nicht ändern wollen, weil zwei Lesungen zur Gewohnheit geworden sind. So wird für die erste Lesung ausgewählt, ob die Lesung aus dem Alten Testament oder dem Neuen Testament vorgetragen wird. Manchmal wird nach „Geschmack“ ausgesucht.
Das Evangelium steht nie in Frage. Aber es kann auch sein, dass ein Evangelientext dran ist, der nicht einfach zu verstehen ist.
Es ist die Aufgabe des Predigers, die Texte den Gläubigen nahe zu bringen. Das erfordert eine gute Vorbereitung und d.h. häusliches Bibelstudium. Oft ist nicht die Zeit dafür. Mir wird jetzt in der Corona-Zeit deutlich, dass das eine wichtige Aufgabe ist. Dann muss eben anderes in Zukunft gestrichen werden. Wenn Christen aus ihrem Alltag zur hl. Messe in die Kirche kommen, dann ist es wichtig, dass die Schrift erklärt wird, um zu verstehen, was das heute mit uns zu tun haben könnte.
Lesung ist nämlich nicht nur Bericht oder Information. Die Aktualität besteht nicht darin, dass es heute vorgetragen wird. Sondern die biblischen Lesungen sind Ereignis.
Deutlich machen möchte ich das an einer Stelle aus dem Lukasevangelium. Jesus kommt in die Synagoge seiner Heimatstadt Nazareth. Hier wird deutlich, dass es um Aktualität geht:
16 So kam er auch nach Nazaret, wo er aufgewachsen war, und ging, wie gewohnt, am Sabbat in die Synagoge. Als er aufstand, um vorzulesen,
17 reichte man ihm die Buchrolle des Propheten Jesaja. Er öffnete sie und fand die Stelle, wo geschrieben steht:
18 Der Geist des Herrn ruht auf mir; / denn er hat mich gesalbt.
Er hat mich gesandt, / damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe;
damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde / und den Blinden das Augenlicht;
damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze
19 und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.
20 Dann schloss er die Buchrolle, gab sie dem Synagogendiener und setzte sich. Die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet.
21 Da begann er, ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.
(Lk 4,16-21)
„Heute hat sich das Schriftwort erfüllt“ sagt eindeutig, dass es bei der biblischen Botschaft immer um Heute geht.
Ich bin momentan dankbar dafür, dass die Corona-Zeit alles zum Erliegen gebracht hat, um wieder das Wesentliche zu sehen.
Was aber macht die Gemeinde. Hört sie nur?
Nein. Die Lesung will zum Gespräch werden. Das Wort verlangt Antwort, die Rede Gegenrede. So wurden bei der Liturgiereform Psalmen ausgewählt, um mit einem Psalm auf die Lesung zu antworten. Dabei wiederholt die Gemeinde einen Psalmvers. Dieser greift die Botschaft der Lesung auf. Mit der Wiederholung prägt sich die Botschaft ein.
Leider findet das bei uns nicht statt, weil auch hier die Gewohnheit vorherrscht, ein Lied zu singen. Es wäre schön, dahin zurück zu finden.
Vor dem Evangelium wird das Halleluja gesungen. Dabei entsteht sogar Bewegung in der Form, dass die Gemeinde sich erhebt und es eine kleine Prozession mit Messdienern, Priester und dem Evangelienbuch gibt.
Bei der Prozession sind zwei Messdiener Lichtträger. Schon das alte Rom stellte das Gesetzbuch zwischen zwei brennende Lichter. So gehört erst recht die Frohe Botschaft zwischen zwei Lichter. Weihrauch wird zu bestimmten Festen mitgetragen. Weihrauch ist Königshuldigung. Jesus ist der Herr, der Kyrios. Das zieht sich durch den Gottesdienst. Er ist es, der nun spricht.
Der Priester leiht ihm seine Lippen. Darum verbeugt sich der Priester für einen Moment und spricht leise Worte, die an den Propheten Jesaja erinnern, als dieser von Gott berufen wurde (Jes 6,7): „Heiliger Geist, reinige mein Herz und meine Lippen, damit ich dein Evangelium würdig verkünde“.
Vom Ambo aus wird das Evangelium vorgetragen. Ambo kommt von anabaino = aufsteigen. Ambo ist ein erhöhter Platz. In Rom kann man noch in alten Kirchen sehen, wie zum Ambo hinaufgestiegen wurde.
Ambo ist der Tisch des Wortes. Darum ist es auch mehr als nur ein Lesepult und wird oft aus dem gleichen Stein gebaut, aus dem der Altar ist.
„Der Tisch des Wortes soll reichlich gedeckt sein“, so die Anweisung des 2. Vatikanischen Konzils.
Es erinnert an die Erfahrung Jesu in der Wüste. Der Dämon redet ihm ein, er solle doch aus Steinen Brot machen, da er doch Gottes Sohn sei. Jesus hat seine Sohnschaft nicht für sich genutzt und darum seine Stellung missbraucht.
„Er hat mich gesandt, / damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe;
damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde / und den Blinden das Augenlicht;
damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“
Darum antwortet er dem Versucher: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes hervorgeht!“
(Mt 4,4)
Einmal ging eine recht korpulente Frau wegen einiger Beschwerden zum Arzt. Nach einer gewissenhaften Untersuchung teilte er ihr dann mit, dass sie unterernährt sei. Auf ihre empörte Reaktion hin erklärte ihr der Arzt, dass er damit nicht den Mangel an Fett und Kohlenhydraten meinte, sondern dass sie zu wenig Vitamine, Mineralstoffe u.ä. hätte. Die gute Frau hatte sich zwar kalorienreich, aber aus Unwissenheit nicht ausgewogen ernährt und war dadurch krank geworden.
Der Speiseplan muss mit Vernunft zusammengestellt werden und nicht nach bloßem Appetit.
Die Seele kann auch unternährt sein. Gott spricht zu uns. In der hl. Messe ist der Tisch des Wortes reichlich gedeckt. Aber auch zu Hause kann man diesen Tisch decken, indem man die Bibel nimmt und ihr liest. Oder man nimmt das Internet.
Auf der
Seite vom Kloster Maria Laach
werden z.B. die täglichen Texte der hl. Messe, sowie Texte für das Stundengebet veröffentlicht. Auf der
Internetseite der Erzabtei Beuron
steht ebenfalls die tägliche Leseordnung.
Heute heißt es im Johannesevangelium:
„Wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben.“
(Joh 3,36)
Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht;
es hat Hoffnung und Zukunft gebracht;
es gibt Trost, es gibt Halt in Bedrängnis, Not und Ängsten,
ist wie ein Stern in der Dunkelheit.
(GL 450)
Ich wünsche Ihnen und Euch einen frohen Tag!
Ihr Pastor Ferdinand Hempelmann