Gütiger Gott,
lass deine Gnade mächtig werden
in unseren Herzen,
damit wir imstande sind,
unser eigenes Begehren zu meistern
und den Anregungen deines Geistes
zu folgen.
Darum bitten wir durch Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeindemitglieder,
die Sprache des Gebetes ist nicht immer unsere Sprache. Darum hören sich manche
Gebete in der Kirche auch sperrig oder komisch an.
Dieses Gebet wird heute in der hl. Messe zu Beginn gesprochen. Es nennt sich
„Tagesgebet“. Also ein Gebet, dass mich durch den Tag führt.
Aber wer spricht so im Alltag: „damit wir imstande sind, unser eigenes Begehren zu
meistern und den Anregungen deines Geistes zu folgen“?
Jetzt, da ich morgens nur im Beisein der Küsterin die hl. Messe feiere, lese ich die
Gebete der hl. Messe ganz anders. Ich spreche sie langsamer und leiser und dadurch
kommen mir die Worte viel näher. Im Alltag spreche ich so auch nicht und dennoch
haben sie eine Wirkung auf mich. Vielleicht dürfen ja Gebete auch eine andere
Sprache haben.
Wir sollen imstande sein, „unser eigenes Begehren zu meistern“. Nichts anderes hat
vorgestern die Bundeskanzlerin von uns gefordert. Das eigene Begehren meistern,
heißt doch, ich nehme Rücksicht und stelle meine Wünsche hinten an.
Aber das ist nicht einfach.
Die eigenen Begehrlichkeiten können einen so im Griff haben, wie ein Hund sein
Herrchen führt. Entweder man merkt es nicht mehr oder man will es nicht
wahrhaben.
Auch mir wurde schon gesagt: „Na, da geht wohl der Hund mit dem Herrchen
Gassi.“ Ich habe natürlich so getan, als wenn das nur eine Ausnahme sei, ich aber
sonst den Hund im Griff hätte.
Gerade jetzt, wo große Einschränkungen unseren Lebensalltag radikal verändern, ist
eine gute Gelegenheit zu überprüfen, ob ich mein eigenes Begehren meistern und
mich von dem führen lassen kann, was zum Wohle der Allgemeinheit,
besonders der
Schwächsten und Ärmsten, beiträgt.
Wenn ich aber das Wichtigste nur dann tue, wenn es mir ausdrücklich befohlen
wird, sagt das schon viel über meine innere Haltung aus.
Ich hatte heute ein interessantes Gespräch (am Telefon) mit unserer neuen
Pastoralreferentin Sr. Jacinta Kitonyi. Sie sagte mit Blick auf ihr Heimatland Kenia,
dass der Coronavirus Gerechtigkeit bringen würde. Das sei wenigstens die gute
Seite.
Wie meinte sie das? Die Reichen in ihrem Land (Politiker, Wirtschaftsfunktionäre,
Prominente) würden ins Ausland fliegen, um sich medizinisch behandeln zu lassen.
Denn das Gesundheitssystem im eigenen Land sei schlecht, was besonders die
Armen trifft.
Jetzt aber dürfe auch ein Reicher nicht mehr ausreisen, um sich besser medizinisch
behandeln zu lassen. Auch sie sind nun auf das eigene Gesundheitssystem
angewiesen. Das kann eine Verbesserung zur Folge haben.
„Wenn jeder nur sich selbst der Nächste ist, ist für
alle gesorgt“, heißt es spöttisch. Das ist eine
Sackgasse!
Ich habe das Gefühl, dass diese Zeit eine heilsame
sein wird.
Trotz der bitteren Erfahrung, dass das Coronavirus Menschen den Tod bringt, glaube
ich, dass wir als Menschheit heilsames lernen dürfen.
Wenn Angela Merkel sagte: „Jedes Leben, jeder Mensch zählt“, dann ist das die
politische Übersetzung des Evangeliums, das heute in der hl. Messe gelesen wird:
In jener Zeit ging ein Schriftgelehrter
zu Jesus hin und fragte ihn: Welches Gebot ist das Erste von allen?
Jesus antwortete: Das erste ist: Höre, Israel,
der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr.
Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben
mit ganzem Herzen und ganzer Seele,
mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft.
Als zweites kommt hinzu:
Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.(Markus 12, 28b-31)
Ich wünsche einen frohen Tag! Ihr Pastor Ferdinand Hempelmann