Liebe Gemeindemitglieder,
wenn wir hl. Messe feiern, kommt ziemlich zu Anfang der Kyrieruf. Das Confiteor, Schuldbekenntnis, beten wir nicht sehr oft – wie ich gestern schon bemerkt habe.
„Kyrie eleison“ ist griechisch und heißt: „Herr, erbarme dich!“.
„Das Kyrie ist von edler Herkunft, aber unscheinbar geworden. Es gleicht einem verarmten Fürstengeschlecht.“ So sagte es einmal ein Theologe in einem Vortrag vor 30 Jahren.
„Von edler Herkunft“ – Was meinte er damit? Es ist ein Ruf in der Antike und ein Ruf der heidnischen Frömmigkeit. Die Verehrer des unbesiegten Sonnengottes beteten auf dem Dach des Hauses zur aufgehenden Sonne hin ihr Morgengebet: „Kyrie eleison!“. Es ist ein Stoßgebet des Sonnenkultes.
Die Römer haben das übernommen. Wenn ein Triumphator, d.h. ein Feldherr nach siegreichen Schlachten über das römische Forum die heilige Straße im Zentrum des antiken Roms (Via Sacra) zum Haupthügel der Stadt, dem Kapitol, auf seinem Wagen hinauffuhr, dann wurde ihm von allen Seiten, von den Soldaten und der Volksmenge zugerufen: „Kyrie eleison“.
Kam einer der Kaiser zum Staatsbesuch in eine Stadt – dieser Besuch wurde Epiphanie, d.h. Erscheinung des Herrn, genannt (so nennen wir Christen unser Dreikönigsfest) – dann rief man: „Kyrie eleison“.
Das „Hurra“ kommt dem sehr nahe, das im 19. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert ein Freudenruf und ein Schlachtruf war.
Die Grenzen zwischen religiösem und weltlichem Gebrauch lassen sich dabei schlecht bestimmen, stand doch z.B. ein römischer siegreicher Feldherr fast schon auf einer Stufe mit den Göttern.
Kyrie eleison
heißt: Herr, erbarme dich!
Damit blickt der Rufende zu dem empor, von dem er Erbarmen erhofft. Die Bitte ist aber mehr ein Lob auf den Angesprochenen, auch wenn er wie ein Flehruf wirkt. Der Rufende vertraut auf die Güte und Macht des Angerufenen und verfällt in Staunen und Anbetung. Dabei weiß er um die eigene Unzulänglichkeit. Der Kyrieruf ist somit ein Lob, das aus der Demut kommt.
„Herr, erbarme dich!“ ist aber auch ein echter Flehruf, die Bitte des Schuldiggewordenen um Vergebung oder die Bitte eines Bettlers.
Kyrie eleison!Doch wie kommt diese griechische Sprache in unsere hl. Messe?
Im Neuen Testament, das auf Griechisch geschrieben ist, kommt der Ruf „Kyrie eleison“ an mehreren Stellen vor. Ein Beispiel steht im 20. Kapitel des Matthäusevangeliums:
29) Als Jesus und seine Jünger von Jericho fortgingen, folgte ihm eine große Menge.
30) Und siehe, zwei Blinde saßen am Wege; und als sie hörten, dass Jesus vorüberging, schrien sie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich unser! (Griechisch: „κυριε ελεησον“ Kyrie eleison)
31) Aber das Volk fuhr sie an, dass sie schweigen sollten. Doch sie schrien noch viel mehr: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich unser! (Griechisch: „κυριε ελεησον“ Kyrie eleison)
Ein anderes Beispiel lesen wir ebenfalls bei Matthäus im 15. Kapitel, in dem von der kanaanäischen Frau die Rede ist:
21) Und Jesus ging weg von dort und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon.
22) Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.
Hier wird kein römischer Kaiser angerufen. Der Kyrios ist Jesus Christus.
Menschen wenden sich an Jesus. Sie sind übel geplagt, haben viel zu kämpfen mit Leid, mit Krankheiten, sind mit ihrer Kraft am Ende und in aller ihrer Verzweiflung wenden sie sich an Jesus Christus.
Doch warum wenden sie sich an ihn?
Diese Frage kann uns der „Christus-Hymnus“ aus dem Philipperbrief geben. Da sagt der Apostel Paulus, dass Gott selbst Mensch geworden ist in Jesus Christus. Der große und allmächtige Gott hat seine Gottesgestalt abgelegt bzw. darauf verzichtet. Er hat sich sozusagen die menschliche Pelle übergezogen. Wobei er dabei vollkommener Mensch geworden ist und nicht nur scheinbar Mensch war:
6 Er war Gott gleich, / hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein,
7 sondern er entäußerte sich / und wurde wie ein Sklave / und den Menschen gleich. / Sein Leben war das eines Menschen;
8 er erniedrigte sich / und war gehorsam bis zum Tod, / bis zum Tod am Kreuz.
9 Darum hat ihn Gott über alle erhöht / und ihm den Namen verliehen, / der größer ist als alle Namen,
10 damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen / vor dem Namen Jesu
11 und jeder Mund bekennt: / Jesus Christus ist der Herr
/ zur Ehre Gottes, des Vaters.
(Phil 2, 6-11)
Der besondere Name, der hier Jesus Christus gegeben wird, das ist der Titel „Kyrios“, also der Herr.
Das musste für die Menschen damals ganz erstaunlich, ja schon ketzerisch und wie eine Gotteslästerung geklungen haben. Jemand, der in dieser Erbärmlichkeit lebte, der in einem Stall geboren worden war, durch die Lande zog als Wanderprediger, der sogar am Galgen eines Kreuzes elend zugrunde ging, der das sogar freiwillig tat, das sollte der Herr sein, der Kyrios?
„Und doch“, sagt Paulus, „genau so ist es.“ In diesem Jesus zeigt sich der wahre Gott. Gott, der nicht fern ist von meinem Leben und meiner Not, der nicht wie ein römischer Feldherr vorüberzieht, sondern absteigt zum Kleinsten und Ärmsten unter den Menschen.
Jesus hat diesen Gott verkörpert. Jesus ist darum das wahre Gottesbild auf dieser Erde. Und darum sollen wir vor ihm unsere Knie beugen, weil sich in Jesus Gott vor uns verbeugt.
Dieser Jesus Christus nahm das Menschsein um Gottes Willen auf sich, ging den Weg durch Elend und Tod und hat damit die Macht von Selbstsucht des Menschen, von Sünde und Tod gebrochen. In Jesus wird der wahre Weg zum Leben sichtbar.
Dieser Jesus ist der wahre Herrscher, weil Herrschen bei ihm Dienen bedeutet:
„Wer von euch der Größte sein will, soll der Diener aller sein“ (Mk 10,43)
Nachdem er den Jüngern die Füße gewaschen hatte, sagte er zu ihnen:
„Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe“ (Joh 13,15).
Wenn ich im Vergleich dazu auf all die Herrscher schaue, die in dieser Welt regieren, dann wird mir schon sehr deutlich, welches Heil von diesem Herrscher Jesus Christus ausgeht, der sich aus Liebe total erniedrigt hat, um damit einen Weg aufzuzeigen, der uns Menschen aus aller Selbstsucht befreit.
Was hat die menschliche Macht denn erreicht? Wir haben die Möglichkeiten geschaffen, mit Medikamenten Krankheiten zu bekämpfen, aber sie sind nicht für alle Menschen zugänglich, weil das Geld wichtiger ist als der Mensch.
Mit der Not der Menschen werden Geschäfte gemacht und Wahlen gewonnen. Flüchtlingslager sind total überfüllt und Ertrinkende dürfen nicht gerettet werden. Hat die Macht der Menschen den Planeten verschönert? Das Sterben des Planeten mit seiner Vielfalt an Leben wird schon seit langem still in Kauf genommen. Nach mir die Sintflut.
Ein Herrscher, der einen anderen Weg geht, den Weg nach unten, der in das Elend der Menschen mit hinabsteigt, ist wenig attraktiv.
Aber genau dieser Kyrios wird am Beginn einer hl. Messe angerufen. Das Gebet ist kein Schuldbekenntnis, sondern ein Bekenntnis zu diesem Herrn. Damit zeigt Kirche, wer sie ist und sein möchte. Denn das Wort Kirche ist ebenfalls griechisch und heißt übersetzt „die zum Herrn Gehörigen“.
Am Beginn des Gottesdienstes sammeln sich die Gläubigen um ihren Herrn, der in die Gemeinde eingezogen ist. Am deutlichsten wird das an Hochfesten, wenn das Kreuz von Messdienern in die Kirche getragen wird. Voraus geht der Weihrauch als Zeichen dafür, dass der Herr kommt. Hineingetragen wird auch das Evangelium, die frohe Botschaft von der Erlösung des Menschen. Damit wird nicht kirchliche Macht demonstriert, sondern die Bereitschaft, ganz auf Jesus zu hören, denn „eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts“ hat mal ein französischer Bischof gesagt.
Der Kyrieruf ist in vielen Gemeinden zu einem Schuldbekenntnis verkommen. Es werden Sätze formuliert, die davon sprechen, was wir alles falsch gemacht haben. Dazu ist das eigentliche Schuldbekenntnis da.
Der Kyrieruf sollte am besten gesungen werden. Denn richtig ist: Es geht um das Lob des Erbarmens, das in Christus zu uns kommt.
Er hat nämlich gesagt: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch Ruhe verschaffen“ (Mt. 11,28), und wir dürfen ihm vertrauen, wenn er sagt: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“ (Mt. 28,18).
Seine Macht ist die Macht der Liebe. Er hat uns die Vollmacht gegeben, in seinem Namen zu handeln!
Christus,
du bist das Licht in unserer Finsternis
du bist die Macht in unserer Ohnmacht
du bist das Leben in unserem Tod
du bist der Trost in unserem Leid
du bist die Kraft in unseren Versuchungen
du bist das Erbarmen in unserer Friedlosigkeit
du bist die Hoffnung in unserem Sterben
du bist das Leben unseres Lebens.
Kyrie eleison.
Ich wünsche Ihnen und Euch einen frohen Tag!
Ihr Pastor Ferdinand Hempelmann