Liebe Gemeindemitglieder,
an diesem 5. Fastensonntag, der auch Passions-Sonntag heißt, werden in der Regel die Kreuze in den Kirchen verhüllt. In St. Pankratius haben wir eine weiße Stoffbahn vom Gewölbe runter hängen lassen. Steht man im Mittelgang, verhindert sie den Blick auf das Kreuz. In St. Georg ist das Kreuz an der Wand mit einem violetten Tuch überzogen.
Das Kreuz wird unserem Blick entzogen.
Auf diesem Bild scheint es so zu sein, dass der Gekreuzigte sich dem Blick des Betrachters entzieht. Er ist von uns weggewandt. Vielleicht damit wir sein schmerzverzerrtes Gesicht und seinen mit Wunden überzogenen Körper nicht sehen. Damit wir sein Weinen, sowie den verzweifelten Schrei: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ (Mk 15,34) aus seinem Munde nicht wahrnehmen.
Wer zeigt schon gerne seine Tränen, seine Verzweiflung und Ängste und erst recht seine Wunden? Es muss ja keiner sehen, wie zerbrechlich man letztendlich ist.
Der Mensch aber ist der verwundbare Mensch. „Der verwundbare Mensch“, heißt auch ein Buch der Theologin Heike Springhart.
Darin beschreibt sie, dass Verwundbarkeit nichts Schlimmes oder Negatives ist, sondern so ist, wie es ist. In einem Interview sagt sie:
„Wir Menschen werden verwundet, wir sind dem Risiko ausgeliefert, verwundet zu werden, durch Krankheit, durch Gewalt. Aber das ist nur das Eine. Das andere ist, dass wir, ohne verwundbar zu sein, uns nicht öffnen können für den anderen. Verwundbar sein heißt auch, dass mein Leben grundsätzlich offen ist. Deswegen kann ich vertrauen, im günstigen Fall, deswegen kann ich lieben, deswegen kann ich offen sein dafür, geliebt zu werden“.
Verwundbar sein ist kein Scheitern. Ist Gott verwundbar?
Auch das Kreuz Jesu ist kein Scheitern. Im Kreuz zeigt sich vielmehr, dass Gott in Jesus ganz und gar hineingegangen ist in diese Welt. Gott ist keiner, der über allem schwebt. Er verschwendet auch keine Energie, den Überlegenen zu demonstrieren. Die Menschwerdung in Jesus, seine Geburt in Bethlehem und sein Sterben am Kreuz zeigen uns, dass Gott in der Welt ist mit allen Konsequenzen und nicht außerhalb. Er ist da aus Liebe und mit seiner Liebe. Diese Liebe macht ihn auch verletzlich. Denn er ist da bis in die tiefste Finsternis des Todes.
Für uns kann er den Tod nicht ungeschehen machen und uns auch nicht von jeder Verwundbarkeit befreien. Wir Menschen sind nicht immer heilbar.
Auch wenn wir uns danach sehnen. Und wir würden uns freuen, wenn Gott so wäre, wie wir uns das vorstellen. Seine Macht aber bedeutet Abschied von der Allmacht. Seine Macht ist das Vertrauen und die Liebe und die Bereitschaft zur Verwundbarkeit.
So sollen auch wir uns verabschieden von jeglicher Allmachtsphantasie und akzeptieren, dass wir sterbliche Wesen sind. Ein illusorisches Menschenbild verstellt unseren Blick auf die Wirklichkeit der Welt und führt nur dazu, dass wir uns ständig absichern. Es hindert uns daran, offen füreinander zu werden und dort zu sein, wo wir einander brauchen.
Denn als sterbliche Menschen können wir mit der Liebe, die jedem Menschen von Gott gegeben ist, ganze Berge versetzen. Überall, wo nicht die Angst, sondern die Liebe am Werk sein darf, geschehen kleine und größere Wunder.
Überall, wo der Mensch Gott vertraut, wird ihm in jeder Notlage soviel Widerstandskraft gegeben, wir er braucht, so hat Dietrich Bonhoeffer es formuliert.
Diese Fotos, die ich am Freitag in unserer St. Pankratius-Kirche mit meinem Handy machen durfte, zeigen mir das.
Christus wendet sich nicht ab, sondern vertrauensvoll dem zu, der das Licht und die Liebe ist. Angst und Tod verlieren ihre Macht. Licht umgibt ihn.
Jesus möchte unsere Augen zu diesem Licht führen. Wir bekommen eine neue Sichtweise auf die Dinge dieser Welt, wenn wir in seine Richtung sehen.
Eine neue Sicht bekommen Marta und Maria und alle Verwandten und Freunde des verstorbenen Lazarus. Er war Jesu Freund. Dass er am Grab weint, zeigt seine Verletzlichkeit. Doch er kommt erst, als sein Freund schon längst im Grab liegt, obwohl die Schwestern Jesus rechtzeitig gerufen hatten.
Das hat einen tiefen Sinn. An Lazarus will Jesus zeigen, worin die Macht Gottes besteht. Er verhindert nicht, sondern er weitet ihren und unseren Blick.
Darum stellt er Martha die wichtige Frage: „Glaubst du das?“ Und ihre Antwort ist: „Ja. Herr, ich glaube. Ich glaube, dass du der Messias bist, der Sohn Gottes“.
Die Erzählung aus dem Johannesevangelium wird an diesem Sonntag als Evangelium gelesen.
Es ist eine Frage auch an uns. Jesus will unsere Sichtweise auf Gott und auf das Leben weiten: weg von falschen Allmachtsvorstellungen, hin zu einem bodenständigen Gottvertrauen.
Er ist die Auferstehung und das Leben, wie es von sich sagt. Antlitz des menschgewordenen Gottes, der uns nahe ist im Leben und im Sterben.
Ich wünsche uns gerade in diesen Zeiten diesen weiten
Blick!
Ich natürlich wünsche Ihnen und Euch einen frohen und gesegneten Sonntag!
Ihr Pastor Ferdinand Hempelmann
Gebet aus dem Gotteslob (GL6,3):
Du, Herr, gibst mir immer wieder
Augenblicke der Stille,
eine Atempause,
in der ich zu mir komme
Du stellst mir Bilder vor die Seele,
die ich sammeln
und mir Gelassenheit geben:
Oft lässt du mir mühelos
Irgendetwas gelingen,
und es überrascht mich selbst,
wie zuversichtlich ich sein kann.
Ich merke,
wenn man sich dir anvertraut,
bleibt das Herz ruhig.
(Aus Japan)
+ Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes (Joh 11, 3-7.17.20-27.33b-45)
In jener Zeit
3 sandten die Schwestern des Lazarus Jesus die Nachricht: Herr, dein Freund ist krank.
4 Als Jesus das hörte, sagte er: Diese Krankheit wird nicht zum Tod führen, sondern dient der Verherrlichung Gottes: Durch sie soll der Sohn Gottes verherrlicht werden.
5 Denn Jesus liebte Marta, ihre Schwester und Lazarus.
6 Als er hörte, dass Lazarus krank war, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er sich aufhielt.
7 Danach sagte er zu den Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa gehen.
17 Als Jesus ankam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grab liegen.
20 Als Marta hörte, dass Jesus komme, ging sie ihm entgegen, Maria aber blieb im Haus.
21 Marta sagte zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben.
22 Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben.
23 Jesus sagte zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen.
24 Marta sagte zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Letzten Tag.
25 Jesus erwiderte ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt,
26 und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das?
27 Marta antwortete ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.
33b Jesus war im Innersten erregt und erschüttert.
34 Er sagte: Wo habt ihr ihn bestattet? Sie antworteten ihm: Herr, komm und sieh!
35 Da weinte Jesus.
36 Die Juden sagten: Seht, wie lieb er ihn hatte!
37 Einige aber sagten: Wenn er dem Blinden die Augen geöffnet hat, hätte er dann nicht auch verhindern können, dass dieser hier starb?
38 Da wurde Jesus wiederum innerlich erregt, und er ging zum Grab. Es war eine Höhle, die mit einem Stein verschlossen war.
39 Jesus sagte: Nehmt den Stein weg! Marta, die Schwester des Verstorbenen, entgegnete ihm: Herr, er riecht aber schon, denn es ist bereits der vierte Tag.
40 Jesus sagte zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?
41 Da nahmen sie den Stein weg. Jesus aber erhob seine Augen und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast.
42 Ich wusste, dass du mich immer erhörst; aber wegen der Menge, die um mich herum steht, habe ich es gesagt; denn sie sollen glauben, dass du mich gesandt hast.
43 Nachdem er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus!
44 Da kam der Verstorbene heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt, und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Jesus sagte zu ihnen: Löst ihm die Binden, und lasst ihn weggehen!
45 Viele der Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was Jesus getan hatte, kamen zum Glauben an ihn.
Tagesimpuls: siehe oben
Wechselgebet:
Kehrvers:
V./A.:Kostet und seht, wie gütig der Herr.
Allen wird Heil, die ihm vertraun.
V: Herr Jesus Christus, sieh auf die Ängste so vieler Menschen,
die Angst, durch das Virus krank zu werden,
die Angst, den Arbeitsplatz oder gar die Existenzgrundlage zu verlieren,
die Angst, in Quarantäne ausharren zu müssen,
die Angst um erkrankte Angehörige.
Du, Herr, weißt, was Angst ist, erlitten am Ölberg.
A.: Kehrvers
V: Herr Jesus Christus, schau auf die Lasten und Kreuze, die Menschen tragen.
Du weißt, wie drückend ein Kreuz sein kann.
Schau auf die Leidenden, die an Leib und Seele ausbluten:
Du, Herr, weißt, wie Schmerz und Kummer plagen.
A.: Kehrvers
V: Herr Jesus Christus, blick auf die Menschheit,
die sterblich und dem Tod verfallen ist.
Du hast den Tod überwunden.
Blick auf die Toten aller Zeiten,
besonders auf die durch das Corona-Virus Verstorbenen.
Du bist in deinem Tod hinabgestiegen in das Reich der Toten
und hast die Auferstehung kundgetan.
A.: Kehrvers
A:
In deine Hand, Herr Jesus Christus,
legen wir unser Leben.
In deine Hand, Herr Jesus Christus,
legen wir unsere Angst und unsere Sorgen.
In deine Hand, Herr Jesus Christus,
legen wir unser Hoffen und unser Verlangen.
In deine Hand, Herr Jesus Christus,
legen wir unsere Zuversicht und unseren Dank.
In deiner Hand sind wir geborgen und getragen.
Wir danken dir, dass deine gute Hand uns hält,
auch dann, wenn wir es manchmal nicht spüren.
Wir danken dir, dass wir -
Was auch immer kommen mag –
Bei dir nicht vergessen sind.
V: Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist
A: Wie im Anfang so auch jetzt und allezeit
und in Ewigkeit. Amen.
Vater unser
Gegrüßet seist Du Maria
Segen:
O Gott, dein Segen und deine Nähe seien mit uns.
Wache du, unser Gott, mit denen,
die wachen oder weinen in dieser Nacht.
Hüte deine Kranken
und lass deine Müden ruhen.
Segne deine Sterbenden,
tröste deine Leidenden,
erbarme dich deiner Betrübten
und sei mit deinen Fröhlichen.
So segne du jeden Einzelnen,
wie er es braucht.
So segne uns der gütige Gott: der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen.
Gotteslob Nr. 448: Herr, gib uns Mut zum Hören
1. Herr, gib uns Mut zum Hören auf das, was du uns sagst.
Wir danken dir, dass du es mit uns wagst.
2. Herr gib uns Mut zum Dienen, wo`s heute nötig ist.
Wir danken dir, dass du dann bei uns bist.
3. Herr, gib uns Mut zur Stille, zum Schweigen und zum Ruhn.
Wir danken dir: Du willst uns Gutes tun.
4. Herr, gib uns Mut zum Glauben an dich, den einen Herrn.
Wir danken dir; denn du bist uns nicht fern.